Der Christus-Hymnus im Philipperbrief ist ein kostbares Zeugnis der Christusverehrung in frühester christlicher Zeit:
"Er war Gott gleich,
hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein,
sondern er entäußerte sich
und wurde wie ein Sklave
und den Menschen gleich.
Sein Leben war das eines Menschen;
er erniedrigte sich
und war gehorsam bis zum Tod,
bis zum Tod am Kreuz.
Darum hat ihn Gott über alle erhöht
und ihm den Namen verliehen,
der größer ist als alle Namen,
damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde
ihre Knie beugen vor dem Namen Jesu
und jeder Mund bekennt:
'Jesus Christus ist der Herr' -
zur Ehre Gottes, des Vaters." (Phil 2,6-11)
Das Christuslied ist älter als der Philipperbrief in seiner vorliegenden Form. Paulus hat es schon übernommen. Es ist vielleicht so alt wie der Abendmahlsbericht 1 Kor 11, 23-25 und der Bericht über die Zeugen der Auferstehung 1 Kor 15,3-9. Der Hymnus ist ein Zeugnis dafür; dass die Anbetung Jesu Christi bis in die früheste christliche Zeit zurückgeht.
Jesus Christus erscheint in diesem Lied nicht als ein unbestimmtes göttliches Wesen. Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern wurde Mensch, den Menschen gleich bis in den Tod. Er, Jesus, der auf Erden gelebt hat, ist der Herr, den Gott über alle erhöht hat. Ihm gilt unsere Anbetung.
Wenn Jesus Christus nur das erste und vornehmste aller Geschöpfe wäre, stünde ihm keine Anbetung zu. Allerdings sieht ihn unsere Anbetung auch nicht neben Gott, dem Vater, so dass wir abwechselnd ihn oder den Vater anbeten könnten. Die Anbetung Jesu Christi tut der Ehre des Vaters keinen Abtrag. Die Anbetung Jesu Christi ist zugleich ein Akt der Verherrlichung Gottes. Wenn wir bekennen: "Jesus Christus ist der Herr", geschieht dies zur Ehre Gottes, des Vaters.
Das Christuslied des Philipperbriefes weitet den Raum der Anbetung. Gott hat Jesus Christus über alle erhöht. Alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde sollen ihre Knie vor dem Namen Jesu beugen, und jeder Mund soll bekennen: "Jesus Christus ist der Herr." Wenn wir ihn anbeten, stehen wir nicht nur in der Kontinuität mit den Christen der frühen Zeit; wir sehen uns zugleich in einem weiten kosmischen Zusammenhang.
Die Anbetung bezieht den ganzen Menschen ein. Mit dem Mund bekennen wir: "Jesus Christus ist der Herr." Darin äußert sich der Glaube unseres Herzens. Unsere Anbetung gewinnt leibhaften Ausdruck darin, dass wir vor ihm unsere Knie beugen.
Das Christuslied des Philipperbriefes kann uns eine Einladung sein, Jesus Christus als Herrn anzubeten.
Text: Bischof emeritus Reinhard Lettmann (+)
(aus dem Buch: Reinhard Lettmann: In die Tiefe bauen - Über die Innerlichkeit des Menschen heute.
Verlag Butzon&Bercker, Kevelaer 1998)
Foto: Michael Bönte, Kirche+Leben