Im Dunkeln auf einen Friedhof zu gehen, kann etwas richtig Unheimliches haben. An vielen Stellen sieht man die roten Grablichter. Eine eigenartige Stille liegt darüber. Aber es ist vor allem die Vorstellung, hier an einem Ort des Todes zu sein. Angehörige, Bekannte oder überhaupt nicht bekannte liegen hier in der Erde. Irgendwie bedrückend die Aussicht, mit seinem ganzen mitunter prallen Leben in einem ca. ein mal zwei Meter großen Erdloch zu enden. Oder wie es der Philosoph Ludwig Feuerbach einmal gesagt hat: am Ende auf all seine Fragen eine Schaufel Erde ins Maul zu bekommen.
Als Pfarrer habe ich schon unzählige Beerdigungen miterlebt. Und immer – egal ob der Verstorbene ein hohes Lebensalter hatte, vielleicht sogar krank war, oder ob er als junger Mensch mitten aus dem Leben gerissen wurde – immer ist der Moment, im dem der Sarg oder die Urne in die Erde gelassen wird, für die nächsten Angehörigen am erschütterndsten. Da wird nicht nur der Abschied so ganz deutlich. Da wird das Ende besiegelt. Der leblose Körper, bzw. das, was von ihm übrig ist, wird vergraben.
Das ist mehr oder weniger der Zielpunkt unseres Lebens hier auf der Erde. Diesen Zielpunkt hat Jesus auch durchlaufen. Zwar nicht auf natürliche Weise, sondern bei der Hinrichtung am Kreuz. Jeden Freitag denken wir Christen daran. Dieser Tod hat seine Anhänger auch bis ins Mark erschüttert. Aber nicht nur das. Es ist etwas passiert, was erstmal ziemlich schräg klingt. "Die Gräber öffneten sich, und die Leiber vieler, die entschlafen waren, wurden auferweckt." So wenigstens berichtet es einer, der näher an der Sache dran war als wir heute, der Evangelist Matthäus am Ende des ersten Jahrhunderts. Wichtiger als die Frage, wie das wohl genau ausgesehen haben mag, ist wohl das, was er damit sagen will: der Tod Jesu erschüttert sogar die Welt des Todes selber. In der frühen Kirche wurde das oft so gedeutet, dass Jesus in die Welt des Todes hinabsteigt. Auf Ikonen ist das dann so abgebildet, dass er dabei rechts und links zwei Menschen an den Handgelenken fasst, um sie mit nach oben zu ziehen. Und zwar so, dass sie ihm nicht mehr entwischen können.
Die Erde auf dem Friedhof mag den Körper eines Toten in sich festhalten und sogar nach und nach verschlingen. Aber was diesen Menschen ausgemacht hat – was ja eindeutig mehr ist, als sein Aussehen – das bleibt nicht in der Erde. Seit Jesus gestorben und auferstanden ist, haben wir Hoffnung.
Bei einem Besuch in Roms Katakomben, die ja als Friedhöfe der frühen Zeit gelten können, sagte ein Fremdenführer einmal: was Sie hier sehen, sind die Garderoben für die Ewigkeit. Ist doch eine schöne Vorstellung: diesen irdischen Körper einmal abzulegen und einen anderen, erneuerten dafür zu bekommen? In dem wir uns schon noch gegenseitig wieder erkennen, aber der nicht mehr krank oder gebrechlich sein kann. Zumindest nicht so, dass uns das dann noch behindern könnte. Den gibt’s in der Garderobe. Vielleicht müssen wir deswegen durch den Tod?!
Text: Martin Sinnhuber
Foto: Michael Bönte, Kirche+Leben