Wer ist der Gott, an den wir glauben? Diese Frage steht über dem Dreifaltigkeitssonntag, der in der katholischen Kirche am Sonntag nach Pfingsten gefeiert wird. Es ist der Gott, der sich uns Menschen in Jesus Christus als Vater, Sohn und Heiliger Geist geoffenbart hat, so lautet das christliche Bekenntnis. Ein Gott in drei Personen.
Dieser Glaube gründet im Zeugnis der ersten Jünger Jesu. Der Apostel Paulus schreibt in seinem Brief an die Philipper über Jesus Christus: "Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen, damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihre Knie beugen vor dem Namen Jesu und jeder Mund bekennt: "Jesus Christus ist der Herr" - zur Ehre Gottes, des Vaters" (Phil 2, 5-11).
In Jesus Christus ist Gott selbst in die Geschichte der Menschen eingetreten. In seinen Worten und Taten, seinen Zeichen und Wundern, und schließlich in seiner Lebenshingabe am Kreuz offenbart sich uns Menschen, dass Gott in sich unendliche Liebe ist. Darum heißt es im Ersten Johannesbrief: "Gott ist die Liebe. Die Liebe Gottes wurde unter uns dadurch offenbart, dass Gott seinen einzigen Sohn in die Welt gesandt hat, damit wir durch ihn leben. Nicht darin besteht die Liebe, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt und seinen Sohn als Sühne für unsere Sünden gesandt hat" (1 Joh 4, 8-10).
Die Italienerin Chiara Lubich, Gründerin der Internationalen Fokolarbewegung, erklärt die Offenbarung der dreifaltigen Liebe Gottes in Jesus Christus durch einen originellen Vergleich. Sie schreibt: "Wenn ein Emigrant sich in ein fernes Land begibt, passt er sich soweit wie möglich der Umgebung an. Aber häufig bringt er auch seine eigenen Lebensgewohnheiten und Sitten mit. Er spricht zum Beispiel weiterhin seine eigene Sprache, er kleidet sich entsprechend seiner Mode oder er baut sich ein Haus in dem Stil, wie er es aus seiner Heimat gewohnt ist. – So ähnlich war es auch, als das Wort Gottes, Jesus Christus, Mensch geworden ist. Er hat sich an die Lebensweise der Welt angepasst, wurde Kind, Sohn und schließlich Mann und Arbeiter. Aber er brachte auch die Lebensweise seiner himmlischen Heimat mit auf die Erde. Und er wollte, dass sich die Menschen und die Dinge in einer neuen Ordnung zusammenfinden, entsprechend dem Gesetz des Himmels, das lautet: gegenseitige Liebe, so wie sie in der Heiligen Dreifaltigkeit gelebt wird.
Um das zu bestätigen, hat Jesus gesagt, dass ihm ein Gebot besonders wertvoll ist und er hat es ‚sein neues Gebot’ genannt: ‚Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben’ (Joh 13, 34) – Diejenigen Christen, die Jesus zuerst kennen gelernt hatten, verstanden die Lehre Jesu sehr gut, so dass die heidnischen Menschen in ihrer Umgebung, die sie beobachteten, von ihnen sagten: ‚Seht, wie sie einander lieben und bereit sind, einer für den anderen das Leben hinzugeben.’ – Jesus selbst hatte ihnen das Maß der gegenseitigen Liebe gegeben, indem er sagte: ‚Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe’ (Joh 15, 12). Und wie hat er uns geliebt? Er hat uns geliebt, indem er das Leben für uns hingab. So müssen auch wir, wenn wir ihm folgen wollen, bereit sein, unser Leben für die Brüder und Schwestern hinzugeben."
Wir Christen glauben und verehren einen Gott in drei Personen, weil Gott in sich unendliche Liebe ist, die sich in Jesus Christus und im Hl. Geist offenbart hat. Die ersten Christen haben von Anfang an verstanden, dass die Begegnung mit Gott in der Person Jesu Christi zu einer neuen Lebenskultur einlädt: "Wir wollen einander lieben; denn die Liebe ist aus Gott, und jeder, der liebt, stammt von Gott und erkennt Gott", heißt es im ersten Johannesbrief. Und weiter: "Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott, und Gott bleibt in ihm" (1 Joh 4, 8.16). Die Nächstenliebe prägte die Lebensbeziehungen der ersten Christen so sehr, dass die Christengemeinden gewissermaßen das dreifaltige Leben Gottes widerspiegelten, wie der Evangelist Lukas berichtet: "Alle, die gläubig geworden waren, bildeten eine Gemeinschaft und hatten alles gemeinsam. Sie verkauften Hab und Gut und gaben davon allen, jedem so viel, wie er nötig hatte. Tag für Tag verharrten sie einmütig im Tempel, brachen in ihren Häusern das Brot und hielten miteinander Mahl in Freude und Einfalt des Herzens. Sie lobten Gott und waren beim ganzen Volk beliebt. Und der Herr fügte täglich ihrer Gemeinschaft die hinzu, die gerettet werden sollten" (Apg 2, 44-47).
Was damals in den ersten Christengemeinden geschah, hat modellhafte Bedeutung bis heute. Eine Pfarrgemeinde braucht gerade heute überschaubare Gruppen, Gemeinschaften und Nachbarschaften, in denen wir uns als Christen mit unserem Leben und unserem Glauben zuhause fühlen können. Es braucht Orte und Räume geistlichen Lebens, in denen wir uns gemeinsam im Gebet getragen fühlen und einander mittragen, in denen uns das Schicksal unseres Nächsten berührt und uns zum Teilen ermutigt. Wo wir die Sorge um das Miteinander in Glaube und Leben nur Institutionen überlassen, wo unser christliches Miteinander sich auf eine Gebetsveranstaltung in der Woche beschränkt, da droht der Glaube irgendwann an Bedeutung zu verlieren, weil er unsere Lebensbeziehungen als Gemeinde Jesu Christi nicht mehr prägen kann. Müssen wir uns wundern, dass christliche Glaubensweitergabe im westlichen Europa immer weniger gelingt, weil es an lebendigen Glaubens- und Lebensorten fehlt, an denen die christliche Botschaft von der Gottes- und Nächstenliebe als Sinn stiftend erfahrbar und berührbar wird?
Dieses Problem wurde vor ein paar Jahren in einem Gespräch von vier Studenten geäußert. Sie konnten keine Pfarrgemeinde finden, in der sie sich im Glauben beheimatet fühlten. Nicht, dass es zu wenig Angebote an Eucharistiefeiern oder geistlichen Vorträgen gegeben hätte. Auch kannten sie zahlreiche katholische Bildungsinitiativen. Aber es ging den Jugendlichen nicht vor allem darum, über Glaubensthemen zu diskutieren oder verschiedene Meinungen zu aktuellen kirchlichen Themen zu hören. Nein, sie suchten vielmehr einen Ort, wo sie miteinander über ihren Glaubensweg, ihre Suche nach Gott, nach einer Praxis des Gebetes und des Lebens aus dem Glauben ins Gespräch kommen könnten. – Gemeinsam machten sie sich auf den Weg eines "Abenteuers mit Christus" und es entstand eine "geistliche Weggemeinschaft", die sich wöchentlich abwechselnd zur Feier der Eucharistie und zum Bibelgespräch in Hauskreisen trifft. Dass die Gruppe inzwischen auf 50 Mitglieder angewachsen ist, zeigt, wie viel Durst es unter gerade jungen Menschen nach einer verlässlichen Beheimatung im Glauben gibt.
Gibt es so etwas auch in ihrem Leben? Wo sind Sie mit Ihren Glaubens- und Lebensfragen zuhause? Vielleicht ist es in der Gruppe einer Pfarrgemeinde oder in regelmäßigen Besuchen einer Ordensgemeinschaft, in Ihrer Familie, in Familienkreisen oder in Hauskreisen neuer Geistlicher Gemeinschaften.
Das Wissen um den dreifaltigen Gott, der Liebe ist, reicht nicht aus, um unser Leben aus dem Glauben gestalten zu können. Es muss zu einem "gefühlten Wissen", d. h., zu einer Lebenserfahrung aus der Begegnung mit der Liebe Gottes werden, um überzeugen zu können. Wir Christen sind eingeladen, dort wo wir miteinander leben, lebendige Zellen der Gemeinschaft mit Gott und untereinander zu bilden.
Papst Johannes Paul II hat daher zum Jahrtausendwechsel die Christen ermutigt, die "Kirche zum Haus und zur Schule der Gemeinschaft zu machen". Er schreibt: "Spiritualität der Gemeinschaft bedeutet vor allem, den Blick des Herzens auf das Geheimnis der Dreifaltigkeit zu lenken, das in uns wohnt und dessen Licht auch auf dem Angesicht der Brüder und Schwestern neben uns wahrgenommen werden muss. Spiritualität der Gemeinschaft bedeutet zudem die Fähigkeit, den Bruder und die Schwester im Glauben in der tiefen Einheit des mystischen Leibes zu erkennen, das heißt, es geht um ‚einen, der zu mir gehört’, damit ich seine Freuden und seine Leiden teilen, seine Wünsche erahnen und mich seiner Bedürfnisse annehmen und ihm schließlich echte, tiefe Freundschaft anbieten kann. Spiritualität der Gemeinschaft ist auch die Fähigkeit, vor allem das Positive im anderen zu sehen, um es als Gottesgeschenk anzunehmen und zu schätzen: nicht nur ein Geschenk für den anderen, der es direkt empfangen hat, sondern auch ein ‚Geschenk für mich’. Spiritualität der Gemeinschaft heißt schließlich, dem Bruder und der Schwester ‚Platz machen’ können, indem ‚einer des anderen Last trägt’ (Gal 6,2)…" (NMI, 43). Soweit die Worte von Papst Johannes Paul II.
Wie zu Beginn des Christentums stellt sich auch den Christen heute die Frage, in welchen tragenden, vom Glauben geprägten Beziehungen sie leben, in der sich eine Kultur der dreifaltigen Liebe Gottes ausprägen kann. Damals wie heute werden sich Christen in Familien, Pfarrgemeinden und Gemeinschaften zusammen finden müssen, die von dem Gedanken entzündet sind, die Gottes- und Nächstenliebe zum Wasserzeichen und zum Ausweis ihres Glaubenslebens zu machen. Liegt hier nicht der springende Punkt unserer Sendung als Christen, wenn sie im Sinne Jesu gelingen soll: Die Gottes- und Nächstenliebe allen anderen Notwendigkeiten und Sachzwängen, allen Planungen und Aktionen des eigenen Lebens voran zu stellen, weil ohne die echte Liebe zu Gott und zum Nächsten, alles was wir beginnen nichts ist vor Gott, wie es im Hohenlied der Liebe heißt (vgl. 1 Kor 12,31 - 13,13). Das Leben im Raum der dreifaltigen Liebe Gottes beginnt bereits hier auf Erden und wird unsere ewige Zukunft, unser Ewiges Leben sein. Denn Gott wird binnen weniger Jahre alles für uns sein, sobald dieses kurze Leben vorbei ist. Und dann werden wir uns in der ewigen Liebe Gottes wieder erkennen und uns zuhause fühlen, weil wir uns mit aller Fantasie um eine Kultur der Gottes- und Nächstenliebe bemüht haben. Gibt es eine schönere Perspektive für unser Leben?
Text: Weihbischof Christoph Hegge
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