In einem Gebet in der Osterzeit heißt es: "Christus, dein Herz jubelt, und deine Seele ist in festlicher Stimmung. Bei dir, in deiner Nähe ist Fülle und Ewigkeit der Freude." Jesus Christus ist Gott und Mensch. Immer wieder gab es in der Geschichte des christlichen Glaubens Tendenzen, entweder seine Gottheit oder seine Menschheit auf Kosten der jeweiligen anderen Natur einseitig überzubetonen.
Dass Jesus ganz Mensch ist, zeigt vor allem auch seine Leidensgeschichte. Das Evangelium berichtet vom Gebet Jesu in Getsemani: "Da ergriff ihn Angst und Traurigkeit, und er sagte zu ihnen (Petrus und den beiden Söhnen des Zebedäus): Meine Seele ist zu Tode betrübt. Bleibt hier und wacht mit mir! Und er ging ein Stück weiter, warf sich zu Boden und betete: Mein Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber. Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst" (Mt 26,37-39).
Das betende und betrachtende Mitgehen des Kreuzweges Jesu lädt uns ein, mit ihm zu fühlen und zu leiden.
Unser Gebet spricht vom menschlichen Fühlen und Empfinden Jesu bei der Auferstehung. Dieser Gedanke ist uns eher ungewohnt. Wir sehen seine Auferstehung als Ereignis, das von entscheidender Bedeutung für das Leben der Menschen ist. Wir haben wenig im Blick, was seine Auferstehung im Innern seines menschlichen Herzens auslöst. Von diesem Fühlen bei der Auferstehung spricht unser Gebet: "Christus, dein Herz jubelt, und deine Seele ist in festlicher Stimmung." Wie das Leiden und Sterben im Herzen Jesu die Reaktion der Trauer und Angst hervorrufen, so erfüllt die Auferstehung sein Herz mit Jubel und setzt seine Seele in festliche Stimmung.
Wie wir beim betenden Betrachten des Kreuzweges Angst und Trauer in seinem Leiden mitzufühlen und nachzuempfinden versuchen, so lädt uns die Osterzeit ein, auch die Freude seines Herzens und den Jubel seiner Seele mitzufühlen und nachzuempfinden: "Bei dir, in deiner Nähe ist Fülle und Ewigkeit der Freude." Wir dürfen uns nicht nur über die Auferstehung Jesu von den Toten freuen; wir dürfen uns mit ihm freuen und teilhaben an seiner Osterfreude, "Fülle und Ewigkeit der Freude".
Text: Bischof Reinhard Lettmann (+)
(aus dem Buch: Reinhard Lettmann: Zeit der Gnade - Gedanken ander Wende des Jahrtausends.
Verlag Butzon&Bercker, Kevelaer, 2000)
Foto: Michael Bönte, Kirche+Leben