Meliton von Sardes spricht in einer Osterpredigt von der Solidarität Jesu mit den Menschen. Er sieht den Menschen in Krankheit und Leid, gefangen in Sünde und Schuld. Am Ende wartet auf ihn das Grab. In all diesen Situationen ist Jesus solidarisch mit den Menschen:
"Der Herr nahm die menschliche Natur an, obwohl er Gott war. Er litt für den Leidenden; er wurde gebunden für den Gefangenen; er wurde verurteilt für den Schuldigen; er wurde begraben für den Begrabenen."
Die Solidarität Jesu mit den Menschen bedeutet nicht nur, dass er mit ihnen leidet und stirbt. Was er in der Solidarität mit ihnen tut und erlebt, wird ihnen zum Heil.
"Doch er stand auf von den Toten und rief mit lauter Stimme: Wer ist es, der es wagt, mich zu verdammen? Er trete zu mir hin! Ich habe den Verurteilten befreit. Ich habe den Verstorbenen lebendig gemacht. Ich habe den Begrabenen auferweckt. Wer wagt es, mir zu widersprechen? Ich, so sagt er, bin Christus, der den Tod zerstört hat, den Feind besiegt. Ich habe meinen Fuß auf den Beherrscher der Unterwelt gesetzt. Ich habe den Starken gebunden, und ich habe den Menschen als Beute in die Höhe des Himmels entführt. Ich, so sagt er, der ich Christus bin." (Nach der Lesung am Ostermontag im Stundenbuch)
Immer wieder beginnt Christus seine Rede mit dem betonten Wort "Ich". Wir werden an das große Wort erinnert, mit dem Gott die Verkündigung der Zehn Gebote einleitet: "Ich bin Jahwe, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus" (Ex 20,2). Es ist eine Erinnerung an die Worte Jesu im Johannesevangelium, die gleichfalls mit dem betonten "Ich" beginnen: "Ich bin die Tür... Ich bin die Auferstehung und das Leben... Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben" (Joh 10,7.9; 11,25; 14,6).
Wer ist es, der das "Ich" in dieser Vollmacht sprechen kann? "Ich", so sagt er, "bin Christus." "Ich", so sagt er, "der ich Christus bin."
Die Worte, die Meliton von Sardes dem auferstandenen Christus in den Mund legt, zeugen von ungebrochener Siegesgewissheit. Für uns sind es Worte der Hoffnung. Meliton von Sardes lässt deutlich werden: Es geht um uns. Der Leidende, der Gefangene, der Verurteilte, der Tote, dessen Ende das Grab ist: das sind wir. Weil Christus in diesen Situationen mit uns Gemeinschaft hat, dürfen wir Gemeinschaft mit ihm haben im Leben. Er hat uns befreit. Er ruft uns aus dem Grab. Er schenkt uns Leben. Er hat die Macht. Wer wagt es, ihm zu widersprechen oder zu widerstehen? Er hat den Tod überwunden, über den Feind triumphiert, den Fürsten der Unterwelt besiegt, den Starken gebunden und den Menschen in die Höhe des Himmels geführt. In diesem Preislied auf Christus, den Sieger, können wir unsere österliche Hoffnung und Freude zum Ausdruck bringen.
Text: Bischof Reinhard Lettmann (+)
(aus dem Buch: Reinhard Lettmann: Dir will ich singen und spielen – Als Christ auf dem Weg.
Verlag Butzon&Bercker, Kevelaer, 1992)
Foto: Michael Bönte, Kirche+Leben